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Psychotherapie, kann die jeder machen?

Therapie ist ein Sammelbegriff für alle Handlungen und Maßnahmen, die genutzt werden, um Krankheiten, Behinderungen, Traumata und Verletzungen zu lindern oder, wenn möglich, zu heilen.
Ich weiß, dass ich einen Beitrag zur Psychotherapie versprochen habe, aber beim Schreiben fiel mir auf, dass ich einen Schritt zurück machen muss, da vor der Therapie noch etwas sehr Wichtiges steht.

Was benötigt man, um eine Therapie zu machen?

Bevor irgendeine Therapie gemacht wird, muss sichergestellt werden, dass diese überhaupt benötigt wird.

Anamnese

Hierfür wird als Erstes eine ausführliche Anamnese (medizinische Geschichte) gemacht, damit in der Psychotherapie in Ihrem besten Interesse gehandelt und behandelt werden kann. Die Anamnese umfasst die folgenden Bereiche:

  1. Welche Beschwerden haben Sie? – Hier wird darauf eingegangen, was genau Sie zu einem Therapeuten bringt
  2. Seit wann haben Sie diese Schwierigkeiten?
  3. Gab es einen Auslöser für die Problematik, oder kam sie aus heiterem Himmel?
  4. Reagiert das persönliche Umfeld auf die Beschwerden reagiert und wenn ja, wie sieht das aus?
  5. Kamen diese psychischen oder körperlichen Schwierigkeiten schon einmal in der Vergangenheit vor, oder treten sie zum ersten Mal auf? Im Falle mancher Beschwerden ist es auch notwendig zu erfragen, ob es schon einmal gegenteilige Auffälligkeiten gab. Beispiele hierfür sind die Depression und die Manie.
  6. Als Nächstes folgt eine detaillierte Familienanamnese dran. Diese ist nötig, damit der Therapeut einschätzen kann, ob Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen bestehen.
  7. Die darauffolgende Sozialanamnese untersucht zum Beispiel, wie es dem Betroffenen mit Freundschaften, Arbeitsverhältnissen und in weiteren sozialen Bereichen geht.
  8. Eine biografische Anamnese gibt Einblicke in die Kindheit. Hierunter fallen Dinge wie der Erziehungsstil der Eltern und die Schullaufbahn.
  9. Anschließend steht die somatische Anamnese im Vordergrund. Ganz oft können sich körperliche Probleme psychisch äußern. Ich hatte diese Thematik in meinem Blogartikel „Depression? Sind wir nicht alle irgendwie depressiv?“ bereits angesprochen.
  10. Abhängigkeitserkrankungen sind natürlich auch Teil der medizinischen Geschichte. Diese umfassen stoffgebundene (Alkohol, Drogen, Medikamente) und nicht-stoffgebundene Süchte (Glücksspiel, Internetsucht, usw.).
  11. Störungen der Impulskontrolle werden auch abgefragt. Hierunter fallen Dinge wie Haare ausreißen, Brandstiftung oder Ähnliches.
  12. Suizidalität muss natürlich auch abgefragt werden und wenn aus dem Gespräch klar wird, dass diese akut ist, muss umgehend gehandelt werden, um die betroffene Person zu schützen.

Psychopathologie

Der psychopathologische Befund gibt dem Diagnostizierenden wichtige Einsichten in etwaige psychische Störungen. Hier werden in der Psychotherapie diese 10 Bereiche abgefragt:

  1. Wie steht es um das Bewusstsein der Person? Ist das Gegenüber klar, oder verwirrt?
  2. Wie ist der Mensch orientiert? Weiß er wer er ist, wo er ist, warum er hier ist und welchen Tag wir haben?
  3. Ist der Betroffene in der Lage, sich an Dinge zu erinnern? Kann er sich Sachen merken? Ist er konzentriert oder abgelenkt?
  4. Sind Ängste, Zwänge oder Phobien präsent und wenn ja, in welcher Form?
  5. Wie ist das Denken? Sind die Gedanken nachvollziehbar, klar kommuniziert oder wirr?
  6. Gibt es Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung?
  7. Ist die Ich-Umwelt-Grenze gewahrt oder nicht? Hierbei handelt es sich unter anderem um Wahninhalte (dies betrifft hauptsächlich Psychosen).
  8. Wie ist der Antrieb des Betroffenen? Ist er vermindert, normal oder gesteigert? Hierunter fällt auch die Psychomotorik (beispielweise das Sprechen)
  9. Intelligenzstörungen werden auch beobachtet. Sie sind im Bereich der Demenzen unter anderem wichtig.
  10. Den letzten Punkt machen die zirkadianen Störungen. Schlaf-Wach-Rhythmus, Einschlaf- und Durchschlafstörungen und morgendliches Früherwachen sind Punkte, die hier abgefragt werden.

Wie Sie sehen, werden Ihnen viele Fragen gestellt werden. Dies scheint eventuell etwas mühselig, ist aber unabdingbar für den Therapeuten, damit er die Diagnostik in die richtige Richtung verfolgen kann. Oft liegt zwischen zwei unterschiedlichen Störungen nur eine Abweichung in einem einzigen Symptom vor.

Testpsychologie

Nicht selten werden zur Diagnostik auch Tests, Fragebögen oder strukturierte Interviews genutzt. Der Sammelbegriff hierfür ist Testdiagnostik. Sie dient unterstützend zu der Auswertung und Diagnosefindung. Diese Tests sind standardisiert, was bedeutet, dass sie Gütekriterien erfüllen müssen. Zum Beispiel, dass der Test das testet, was er angibt und dass er das gleiche Ergebnis bringt, egal wer den Test mit dem Betroffenen durchführt. Diese Instrumente sind sehr komplex und benötigen Jahre in der Konstruktion, um ihr Ziel zu erreichen. Seien Sie aber bitte nicht verwundert, wenn Fragen gestellt werden, die Ihnen seltsam erscheinen, denn sie sind nicht grundlos Bestandteil des speziellen Diagnosetools.
In manchen Fällen werden diese also vor oder während einer Psychotherapie hinzugezogen, um einen Verdacht zu bestätigen, in anderen bedarf es keines externen Nachweises.
Falls Sie manche Fragen nicht eindeutig beantworten können, halten Sie bitte Rücksprache mit Ihrem Therapeuten.

Ich will aber nicht so viel preisgeben…

Ich kann verstehen, dass es sich zum Teil um sehr private Details handelt, jedoch sind diese Auskünfte sehr wichtig, damit Ihr Therapeut Ihnen ideal helfen kann. Über manche Dinge zu sprechen kann schwierig sein, da sie eventuell schambehaftet sind, oder noch nie ausgesprochen wurden oder Sie diese aus anderen Gründen nicht ansprechen wollen.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen versichern, dass die meisten Therapeuten (Ausnahmen gibt es in jedem Beruf) eine professionelle Haltung haben, wahrscheinlich mindestens schon einmal ein ähnliches Detail gehört haben und zudem unter Schweigepflicht stehen. Natürlich ist es aber legitim zu sagen, dass Sie da (noch) nicht darüber reden wollen, nur bitte ich Sie eines um jeden Preis zu vermeiden: Bitte lügen Sie nicht, da Lügen ein Stolperstein auf dem Weg zur Linderung Ihrer Symptome sind. Es kann sich im ersten Moment richtig anfühlen, aber Sie werden schnell merken, dass es Sie in der weiteren Psychotherapie hindern wird und wie schwer es ist, von einer Notlüge zurückzukommen. Jeder Therapeut wird Verständnis aufbringen, wenn Sie etwas nicht preisgeben möchten und das erlaubt Ihnen, zu einem späteren Zeitpunkt diese Lücke eventuell noch zu stopfen.

Und was braucht es noch so für eine Psychotherapie?

Wichtig ist auch eine Klärung des sogenannten Settings. Darunter versteht sich eine Aufklärung über die Rahmenbedingungen um die Therapie herum. Sitzen Sie Ihrem Therapeuten gegenüber? Liegen Sie auf einem Sofa? Sitzen Sie lieber auf dem Boden? Kommen Sie in die Praxis oder wünschen Sie Hausbesuche?
Außerdem muss der Auftrag und das Honorar geklärt werden. Was ist Ihr Ziel für die Therapie? Was sind die Kosten und wie lang ist jede „Stunde“? Wie oft sollten Sitzungen stattfinden? Kommen Sie alleine, in einer Gruppe, mit der Familie oder Ihrem Partner?
Wenn Ihnen irgendetwas unklar ist oder Sie noch offene Fragen haben, stellen Sie diese bitte. Sie sollen sich wohlfühlen und öffnen können, damit Ihre Psychotherapie Ihnen so gut und schnell hilft, wie möglich.

Nun verbleibe ich mit der Ankündigung des nächsten Beitrags. Dieses Mal kommt wirklich die Therapie dran. Der Artikel wird am 4.9.2022 live gehen.

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